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Freies Wort 08.04.2015

Mieter sollen Platz machen

für ein Millionen-Projekt


Ende des Jahres soll die Clara-Zetkin-Straße 13 bis 21 in Bad Salzungen zur Großbaustelle werden. Mieter der Wohnungsbaugenossenschaft (WBG) wehren sich gegen die geplante Modernisierung - denn sie sollen ausziehen

Bad Salzungen

Es ist ein Millionenprojekt, das sich die Genossenschaft da vorgenommen hat. Der Wohnblock in der Clara-Zetkin-Straße soll entkernt werden, bis auf Außenhaut und Treppen bleibe nichts übrig von dem Plattenbau aus DDR-Zeiten. Roland Leise, Vorstand der WBG, spricht von generationenübergreifendem Wohnen - von seniorengerechten Wohnungen, Angeboten für junge Familien, aber auch Singles. Und das alles mit einem guten zeitgemäßen Standard. "Wohnungen eben, die heutigen Ansprüchen genügen und der Genossenschaft langfristig Nachfrage und Mieter und damit Wirtschaftlichkeit sichert", fasst Leise zusammen.
Was sich so vernünftig und zukunftsorientiert anhört, lässt allerdings viele der noch verbliebenen Bewohner des Hauses nicht mehr ruhig schlafen. Denn das Projekt ist nur umsetzbar, wenn sie ausziehen. Von den 40 Wohnungen in fünf Aufgängen sind derzeit noch 30 belegt. 22 Mieter haben sich mit einer Unterschriftensammlung und dem klaren Bekenntnis "Wir bleiben wohnen" an die Genossenschaft gewandt. "Wir werden um unsere Wohnungen kämpfen", betonen Reidun Freyer und andere Unterzeichner, die sich mit ihrem Problem an die Heimatzeitung gewandt haben. Die langjährigen Genossenschaftsmitglieder können nicht nachvollziehen, warum sie aus ihren Wohnungen ausziehen sollen.

Vor 20 Jahren saniert

Vor gut 20 Jahren war ihr Wohnblock als einer der ersten aus dem Bestand der WBG saniert worden. "Die Fassade wurde gedämmt. Die Fenster sind dicht, wir haben keinen Schimmel oder irgendwelche Feuchtigkeit in den Wohnungen und auch der Energieausweis bescheinigt dem Gebäude einen sehr guten Wert", zählt Reidun Freyer auf. In ihrem Wohnzimmer haben sich auch Waltraud Daehne, Christa Heumüller, Werner Schunder, Joachim Werner und Rolf Brückner eingefunden, alle schon weit im Rentenalter. Allein der Gedanke an einem Umzug in diesem Alter macht ihnen Angst. Doch auch die Freyers, die noch im Berufsleben stehen, wollen ihre Wohnung nicht verlassen. "Unsere Kinder sind hier großgeworden. Wir bezahlen die Miete pünktlich, wir halten die Wohnungen in Ordnung, wir haben uns alles so eingerichtet, wie wir es brauchen", spricht Reidun Freyer vielen aus dem Herzen. Einbauschränke, zum Teil Paneele an Wänden und Decken - bei einem Umzug wäre das alles futsch. Da sei die angebotene Hilfe der Genossenschaft lächerlich, ist man sich einig.

Leise: Im Winter geht's los

Bis zu einem gewissen Punkt verstehe er die Verärgerung der Mieter, räumt Roland Leise gegenüber unserer Zeitung ein. Jeder scheue wohl den Aufwand eines Umzugs. Jedoch habe man Anfang März rechtzeitig das Gespräch mit den Mietern geführt, ihnen erklärt, warum dieser Schritt jetzt in ihrem Wohnblock und für die Zukunftsfähigkeit der Genossenschaft nötig sei. "Wir haben Anfang der 90er Jahre mit diesem Wohnblock die erste Sanierungswelle nach der Wende begonnen. Damals war das ein großer Fortschritt in der Wohnqualität. Aber - und auch das muss klar gesagt werden - mit den damaligen Mitteln und Möglichkeiten war manches auch ein Provisorium", erklärt er und verweist zum Beispiel darauf, dass das Mehrfamilienhaus heute das einzige im Bestand der WBG ist, indem es noch Gas-Durchlauferhitzer gibt, statt einer zentralen Warmwasserversorgung. "Die Waschmaschine muss in der Küche stehen, ungenutzte Schornsteine nehmen Platz weg, machen Grundrisse für neue Mieter unattraktiv", zählt er weiter auf. "Ja, der Wohnblock war der zuerst sanierte nach der Wende, und er wird nun der Block sein, der in der zweiten Sanierungswelle der Genossenschaft als erster aufgewertet wird."
Von Wohnraumvernichtung will Leise nichts hören. "Es bleibt bei 40 Wohnungen, allerdings unterschiedlicher Größe und individuellen Zuschnitts. Und die Modernisierungskosten werden entsprechend den gesetzlichen Möglichkeiten auf die Mieten umgelegt", führt er aus. Er lässt keinen Zweifel daran, dass das Vorhaben umgesetzt wird und die Arbeiten noch in diesem Jahr beginnen. Schließlich steckten "stramme zwei Jahre Vorbereitung" in dem Projekt. "Ich bin ein Mann der klaren Worte: Als Winterbaustelle wird das Gebäude entkernt. Und wenn nicht alle Aufgänge leergezogen sind, wird eben in denen begonnen, die dann unbewohnt sind." Unter bewohnten Bedingungen könne man die Investition, die sich 2016/17 anschließt und vier bis fünf Millionen Euro umfassen soll, nicht umsetzen.
Von Kündigungen des Nutzungsvertrags für die Mieter spricht Roland Leise nicht. Aber er betont; Genossenschaftswohnungen seien keine Eigentumswohnungen. Und "im Interesse des Gelingens des Vorhabens" schließt er "eine Verwertungskündigung auf Grundlage des Gesetzes" nicht aus. Aber das sei nicht das Ziel der Genossenschaft. "Vielmehr geht es uns darum, für jeden Mieter eine individuelle Lösung zu finden. Das geht aber nur, wenn uns die Mieter ihre Vorstellungen von einer neuen Wohnung mitteilen", sagt er. Er habe sie aufgefordert, sich umzusehen, wo sie gerne wohnen möchten, ob weiter im Bereich "Beete" oder anderswo, welche Wohnungsgröße für sie in Frage käme.

Freie Wohnungen sind da

Mit diesen Vorstellungen sollten sie dann zur WBG kommen. "Wir haben jetzt ganz bewusst einen höheren Leerstand produziert, um diesen Mietern Angebote machen zu können - in der Grotewohl-Straße, in der Wohlfahrt-Straße oder auch an den Unteren Beeten." Doch die Kompromissbereitschaft der Mieter sei eben auch nötig.
Zudem hätten die betroffenen Bewohner der Zetkin-Straße die Wahl zwischen einem Pauschalbetrag je nach Wohnungsgröße als Unterstützung für den Umzug oder der Nutzung eines Umzugsunternehmens, das allerdings die WBG bestelle und auch bezahle. Durch den Umzug entstehende Nebenkosten werde die WBG ebenfalls erstatten.
Für den Mieterverein Suhl und Umgebung e.V. ist das Vorgehen der WBG Bad Salzungen dennoch "ein Ding der Unmöglichkeit". Georg Seidler sagte gegenüber dieser Zeitung, einen solchen Fall habe es in ganz Südthüringen bislang nicht gegeben. Der Mieterverein hat bereits eine Versammlung mit den Mietern abgehalten. "Das sind Leute, die Schutz brauchen und moralischen Beistand", steht er auf der Seite der Mieter.

Mieterverein: So geht's nicht

Es sei sicher verständlich, dass man hochwertige Wohnungen anbieten wolle. Aber dann solle die WBG eben neu bauen, wie die Wohnungsgesellschaft an der Leimbacher Straße. Eine Genossenschaft müsse im Sinne ihrer Mitglieder handeln, so Seidler. Wohnraum, der teilsaniert und nachgefragt sei, dürfe nicht vernichtet werden. Seiner Auffassung nach gehe es hier nicht um die Mieter, sondern um den Profit, der aus den Wohnungen rauszuholen sei.
Davon will Vorstand Leise gar nichts hören. "Unser Gewinn fließt wieder in die Genossenschaft. Aber ich bin verpflichtet als Vorstand, das Unternehmen wirtschaftlich zu führen. Dazu müssen wir ansprechende Wohnungen anbieten. Und dafür muss modernisiert werden."
Der Mieterbund könne das Vorhaben zwar verzögern, aber nicht verhindern, sagt Leise. Die WBG habe genug Erfahrungen damit gesammelt, Mieter "umzusetzen". "700 bis 800 derartige Fälle galt es in den vergangenen Jahren zu lösen. Und wir haben nicht eine gerichtliche Auseinandersetzung gehabt. Darauf sind ich und mein Team stolz."
Die Mieter, die den Brief an die WBG unterzeichnet haben, hätten inzwischen alle eine Antwort bekommen mit dem Hinweis, das persönliche Gespräch in der WBG zu suchen. Eine Mitarbeiterin sei speziell für das Vorhaben abgestellt, so Leise.

Quelle: Freies-Wort 08.04.2015

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